Im September war ich zu einer Woche Intensivtraining in Ego-State-Therapie1. Es war eine große Bereicherung und wir alle konnten unser Wissen vertiefen.
Mir ist in dieser Seminarwoche noch einmal sehr deutlich geworden, wie wichtig es ist, auch einen kritischen oder abwertenden Selbstanteil sozusagen „an die Hand zu nehmen“ und zu fragen, worin sein Auftrag besteht.
Zunächst wäre man leicht geneigt, diese Anteile einfach loszuwerden. So einfach ist das aber nicht. Das kennen wir ja alle. Der Innere Kritiker lässt sich nicht einfach zum Schweigen bringen. Geht man jedoch in Kontakt mit einem solchen Anteil erfährt man wesentliche Dinge über sie.
Aufträge solcher schwierigen Selbstanteile, die letztlich im Alltag blockierend wirken, können z.B. sein:
- Sorge um Zuwendung: Bleibe passiv. Nur dann wirst du versorgt und bekommst Zuwendung.
- Sorge um Zugehörigkeit: Werte dich selbst ab. Nur wenn du dich klein und unscheinbar hältst, darfst du dazugehören – oder: bleibst Teil der Familie.
- Sorge um Bindungsverlust: Sprich nicht und sei leise. Dann merkt auch keiner, dass du da bist. So entgehst Kritik, Abwertung oder anderen bedrohlichen Situationen und kannst nicht „weggeschickt“ werden.
- Sorge darum, sich nicht schuldig zu machen: Triff keine Entscheidungen. Entscheidungen bedeuten auch Verantwortung und damit die Gefahr, sich schuldig zu machen. Mach dich nicht schuldig.
- Sorge um Durchhalten in Herausforderungen: Übergehe unbedingt deine Bedürfnisse und Gefühle. Spüre dich nicht. Nur so lassen sich Herausforderungen bewältigen. Ein Überlebensstrategie, die irgendwann eventuell mal sinnvoll gewesen ist.
Erst wenn es gelungen ist, die innere Dynamik dieser Persönlichkeitsfacetten oder auch Selbstanteile zu verstehen, versteht man sich selbst auch besser, kann sich selbst besser akzeptieren und dann neue Strategien suchen:
- Ist diese Strategie noch angemessen oder entstammt sie einer früheren Phase meiner Lebensgeschichte? Vielleicht benötigt dieser Selbstanteil Entwicklungshilfe.
- Was könnte ich stattdessen tun, um für mein Bedürfnis zu sorgen?
- Möglicherweise könnte es sinnvoll sein, mir ganz bewusst die Erlaubnis zu geben, im Heute anders für mein Bedürfnis zu sorgen.
1 Was ist Ego-State-Therapie?
In der Ego-State-Therapie geht man davon aus, dass jeder Mensch eine Mischung von Selbstanteilen in sich trägt. Man könnte sie auch Facetten oder Rollen nennen. Das können kraftvolle Anteile sein, wie auch kritische oder manchmal auch destruktive Anteile. Das simpelste Beispiel wäre der „Innere Schweinehund“ – den kennen wir alle. Oder auch das „Glückliche innere Kind“ – das zum Vorschein kommt, wenn wir glücklich, unbeschwert und spielerisch unterwegs sind und uns über den nächsten Tag nur wenige Gedanken machen. Erfasst man diese Facetten als „Innere Selbstanteile“ so bekommen sie Gestalt. Was eine Gestalt hat, damit kann man arbeiten und das lässt sich auch verändern.
Der Weg, um mit sich selbst bzw. den Selbstanteilen besser umgehen zu können ist vom Prinzip her immer ähnlich:
- In Kontakt zu den Selbstanteilen kommen
- In Austausch treten. Ins Gespräch kommen.
- Akzeptanz der Selbstanteile
- Verständnis für Funktion und Strategie der Selbstanteile
- Versorgung der Selbstanteile, Sorge um die Bedürfnisse
- Möglicherweise kann es sinnvoll sein, problematischen Selbstanteilen neue Aufgaben zu geben.
- Sinnvolle Integration des Selbstanteils in das Leben von Heute